Krisenkommunikation im Ernstfall – ein Blick zurück auf die Covid-19-Pandemie

Im Interview gibt Regierungsrat Dr. Lukas Engelberger Einblicke in die Welt der Krisenkommunikation. Erfahren Sie, wie er als Vorsteher des Gesundheitsdepartements und als Direktor der Gesundheitsdirektorenkonferenz mit den Herausforderungen der Covid-Pandemie umging und welche Lehren er daraus für die Zukunft zieht.

Der Beitrag ist Teil der Jubiläumspublikation des 10. Luzerner Management Forums, die bcp und HSLU gemeinsam veröffentlichten.

Am siebten Luzerner Management Forum (LMF) im Jahr 2020, das bisher das einzige im Online-Format war, referierte der Basler Regierungsrat und Vorsteher des Gesundheitsdepartements Basel-Stadt, Dr. Lukas Engelberger, zum Thema Krisenmanagement im Föderalismus. In seiner Funktion als Präsident der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) stand er im Kontext der föderalen Krisenbewältigung der Covid-19-Pandemie fast täglich im Fokus der Medien. Drei Jahre später ist dieses Thema – obwohl die Covid-19-Pandemie und alle damit zusammenhängenden Effekte die Menschen sehr stark beeinflussten – weit in den Hintergrund gerückt. Das Gespräch mit Lukas Engelberger gibt einen Rückblick auf die Herausforderungen in der Krise.

 

Silvana Marazzi: Vielen Dank für die Möglichkeit zum Gespräch. Jetzt ist es bereits Mai 2023 und die Pandemie gilt in der Gesellschaft als beendet. Dennoch sprechen wir heute nochmals über Covid-19 – das ehemalige Dauerbrennerthema. Wie geht es Ihnen damit? 

Lukas Engelberger: Ich habe mich in der Zwischenzeit daran gewöhnt, dass die Pandemie und deren Bewältigung zwei sehr langwierige Themen sind. In unserem Alltag scheint die Pandemie bereits sehr fern zu sein, dennoch hat die WHO erst heute den Notstand zurückgestuft. Und dies, obwohl für Gesellschaft und Wirtschaft die Pandemie bereits länger abgeschlossen ist. Das zeigt sich im Gesundheitsdepartement auch daran, dass wir uns wieder vermehrt auf andere Themen fokussieren können, die während der Pandemie zu kurz kamen. Ich habe erkannt, dass man eine Pandemie ganzheitlich betrachten muss. Nach einer ersten sehr akuten Phase gibt es eine Endphase, die in Form einer irregulären Belastungssituation im Gesundheitswesen noch bestehen bleibt. Diese Phase ist geprägt von hohen Fallzahlen bei Grippeviren, welche auf die geschwächten Immunsysteme der Bevölkerung zurückzuführen sind. Diese Regularisierungsphase gegen Ende ist sicher länger, als wir anfangs erwartet haben. Jetzt bewegen wir uns mit wachsender Immunität der Bevölkerung wieder einer normalisierten Saisonalität entgegen. Damit kommt die Pandemie zu einem Ende. Nun stellen sich neue Fragen: Wie lange wird diese Immunität anhalten? Wie werden die Covid-19-Impfungen in die regulären Prozesse des Gesundheitswesens integriert?  

Silvana Marazzi: Wenn Sie auf die Pandemie zurückschauen – was haben Sie als GDK-Präsident, Regierungsrat und Führungsperson gelernt? Was wirkt bis heute nach? 

Lukas Engelberger: Bei mir wirkt vor allem der hohe Erklärungsbedarf und Kommunikationsaufwand nach: Eigentlich konnte die Kommunikation nie «zu viel», sondern immer nur «zu wenig» sein. Das war sehr anspruchsvoll, auch weil die Pandemie über eine lange Dauer angehalten hat. Selbst Informationen, die für mich als Absender genügend klar kommuniziert erschienen, waren für viele gar nicht oder nur teilweise klar. Alles musste mehrfach wiederholt und auf unterschiedliche Weise erklärt werden. Für mich als Politiker war das sehr lehrreich. 

Die politische Relevanz des Themas Gesundheitsversorgung war vor der Pandemie gering. Während meiner ersten sechs Jahre im Amt war aus der Politik der Tenor zu vernehmen, die Gesundheitsversorgung sei zu teuer und das Angebot zu gross. In der Akutphase der Pandemie hat sich das schlagartig gewandelt – denn: In der Politik wurde mit Entsetzen festgestellt, dass in einer Krise nicht einfach auf Knopfdruck neue Spitalbetten entstehen können und dass die Versorgung vielleicht doch nicht so komfortabel ist, wie das in den vergangenen Jahren von allen proklamiert wurde. Doch dieser starke Eindruck hielt sich nur für kurze Zeit – mittlerweile sind die klassischen Gesundheitsthemen wie Kostenentwicklung und die hohen Prämien in der Bevölkerung wieder in den Vordergrund gerückt. Dies machte deutlich spürbar, wie schnell sich die politische Relevanz von Themen verändern kann. 

Silvana Marazzi: Bestimmt hat sich auch in Ihrem Departement durch die Pandemie einiges verändert. Welche ist für Sie die einschneidendste Veränderung, welche bis heute nachwirkt? 

Lukas Engelberger: Durch die Pandemie sind wir als Departement und unsere Themen viel stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Es besteht trotz der abnehmenden politischen Relevanz von Covid-19 ein grösseres öffentliches Interesse an Gesundheitsthemen. Dies erkenne ich vor allem an zunehmenden parlamentarischen Vorstössen zu Gesundheitsthemen, und mir fällt die verstärkte Präsenz von Gesundheitsthemen in den Medien auf. 

Silvana Marazzi: Bei der Pandemie handelte es sich um eine Krise und Ihre Kommunikationsaufgaben sind somit als Krisenkommunikation einzuordnen. Waren Sie und Ihr Departement auf diese Art der Kommunikation vorbereitet? 

Lukas Engelberger: Unsere definierten Kommunikationsabläufe sind auf rasche Reaktionsfähigkeit ausgerichtet. Dennoch war die Kommunikation für ein Ereignis mit solcher Tragweite neu für unser Departement und dadurch sehr herausfordernd. Gleich zum Auftakt der Pandemie musste ich die Schliessung von Restaurants und die Absage der Fasnacht kommunizieren – vor allem die Absage der Fasnacht war für Basel ein emotionsgeladener Moment. 

Ich hatte vor der Pandemie Kurse zur Kommunikation belegt. Für die politische Arbeit ist Kommunikation zentral – konkretes Knowhow zur Krisenkommunikation hatte ich mir vor der Pandemie jedoch nicht angeeignet. Daher war der Pandemie-Auftakt durchaus ein Sprung ins kalte Wasser mit grossem Lerneffekt. Und – entscheidend für die Bewältigung dieser umfangreichen Kommunikationsanforderungen über eine sehr lange Zeit war, dass mich ein hervorragendes Team unterstützt. Im Departement, in der KKO (Kantonale Krisenorganisation) wie auch im Regierungsrat war Kommunikation ein wichtiges Thema und wir haben im Laufe der Zeit gemeinsam dazugelernt. 

Silvana Marazzi: Sie haben die KKO erwähnt. Damit Krisenkommunikation wirklich gut funktioniert, braucht es ein optimales Zusammenwirken von Krisenmanagement (Handeln) und Krisenkommunikation (Botschaften). Wie gut hat die Synchronisation von Handeln und Botschaften im Rückblick funktioniert? 

Lukas Engelberger: Wir haben die Federführung für die Kommunikation nicht an die kantonale Krisenorganisation delegiert, sondern in den Regelstrukturen belassen. Hilfreich für die Planung war ein eigens gebildeter Strategiestab. 

Der KKO kam in kommunikativen Belangen eine unterstützende Rolle zu. So konnten wir direkt und pragmatisch kommunizieren und als einzige «Absenderin von Botschaften» für Kontinuität in der Kommunikation sorgen. Ausserdem standen wir in der Pflicht, die anderen Departemente einzubinden. 

Silvana Marazzi: Sie sind Präsident der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK). Wie hat die GDK in der Krise funktioniert?  

Lukas Engelberger: Die GDK funktioniert anders als der Kanton Basel-Stadt. Die Erwartungen an die GDK als Organ waren sehr unterschiedlich. Vor allem in Bezug auf gemeinsame, breit abgestützte Entscheide gingen die Erwartungshaltungen weit auseinander, auch weil der Bund seine Rolle teilweise zurückhaltend wahrnahm. Es ging oft vergessen, dass die Kantonsregierungen in allen Belangen gut eingebunden werden müssen. Der Anspruch, dass die GDK für die Kantone einheitliche Entscheidungen trifft, ist nicht erfüllbar, denn es entspricht nicht dem Aufgabengebiet einer solchen Konferenz (vgl. TextBox). Der horizontale Föderalismus, wie er in Nicht-Krisen-Zeiten gut funktioniert, braucht viel Zeit. In einer Krise ist diese Zeit nicht gegeben, weil oft kurzfristige Entscheidungen getroffen werden müssen. 

Im Krisenfall müssten die Kantone also entweder selbst entscheiden können oder – wenn das Thema wie in der Corona-Pandemie grossflächiger wird – der Bund muss eingreifen, um flächendeckende Entscheide zu treffen. 

Silvana Marazzi: Sie sind auch heute noch Präsident der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren. Wie hat sich die GDK in dieser herausfordernden Zeit verändert? 

Lukas Engelberger: Die intensive Zusammenarbeit während der Pandemie hat uns näher zusammengebracht und unsere Art der Zusammenarbeit nachhaltig verändert. Das zeigt sich nach der Pandemie vor allem darin, dass wir Harmonisierungsthemen ein bisschen ambitionierter verfolgen, da das öffentliche Verständnis für regionale Differenzen kleiner geworden ist. Vor allem durch die Arbeit der Medien hat die nationale Perspektive an Wichtigkeit gewonnen. Dennoch ist und bleibt der Föderalismus in unserem System stark verankert. Die Pandemie hat aber eindrücklich gezeigt, dass das System unter dem enormen Zeitdruck an seine Grenzen kam. 

Silvana Marazzi: Es gab bereits diverse Evaluationen zum Krisenmanagement und zur Krisenkommunikation während der Covid-19 Pandemie. Wie stehen Sie dazu? 

Lukas Engelberger: Ich nehme die Evaluationen natürlich wahr und sehe auch die internationalen Vergleiche. Mir ist bewusst, dass diese Evaluationen notwendig sind, um aus den Erfahrungen lernen zu können. Viele Studien und Metaanalysen wurden meines Erachtens aber zu früh gemacht. Hier im Kanton Basel-Stadt lassen wir uns mehr Zeit für die Evaluation des Krisenmanagements und der Krisenkommunikation. Die Wirkung unserer Arbeit werden wir mit einem Abstand von vier Jahren ab Pandemieausbruch final evaluieren. Durch diesen längeren Zeithorizont und ohne Zeitdruck erwarten wir klare, nüchterne und fundierte Erkenntnisse zu bekommen, welche uns darin unterstützen, für die Zukunft zu lernen.  

Silvana Marazzi: Am LMF 2020 sprachen Sie in Ihrem Referat von einem verstärkten Wunsch nach Partizipation seitens des Parlaments. Wirkt dieser Wunsch im politischen Betrieb immer noch nach oder geht alles wieder zurück auf Feld eins – oder «Vor-Pandemie-Realität»? 

Lukas Engelberger: Ich deute das mit Blick auf den Kanton Basel-Stadt etwas anders: Während der Pandemie gab es ein legitimes und naheliegendes Bedürfnis der Gesundheits- und Sozialkommission (GSK) des Basler Grossen Rats, zeitnahe orientiert zu werden. Die GSK hatte Verständnis, dass die Exekutive in der Krise beweglich sein muss. Für mich war der Austausch eine Möglichkeit, Informationen in einer sehr pragmatischen Art und Weise direkt zu übermitteln. Davon würde ich aber nicht ableiten, dass das Parlament sich übergangen oder nicht wahrgenommen fühlte. Daher war es eher eine Bestätigung für die funktionierende Rollenteilung und für gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Mehr parlamentarische Elemente in der Krise hätten das System schwerfälliger gemacht und zu längeren Entscheidungsprozessen geführt. 

Was bleibt, ist die Zunahme der öffentlichen Aufmerksamkeit und damit auch die steigende Anzahl parlamentarischer Vorstösse im Gesundheitsbereich. Diese Aufmerksamkeit führt einerseits zu weniger Freiheiten für mich als Regierungsrat. Andererseits gibt es Möglichkeiten, Geschäfte im Parlament voranzutreiben, weil nach der Krise mehr Kompetenz im Gesundheitsbereich vorhanden ist. Auf Bundesebene wird die Revision des Epidemie-Gesetzes Gelegenheit bieten, die institutionellen Aspekte der Pandemiebewältigung kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. 

Silvana Marazzi: Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben für das spannende Gespräch. Weiterhin alles Gute und viel Erfolg. 

 

Dieser Beitrag ist Teil der Jubiläumspublikation zum 10. Luzerner Management Forum. Die ganze Publikation finden Sie hier: Jubiläumspublikation 

 

Autor:in: Silvana Marazzi, Florian Frey