Wandlungsfähigkeit und Digitalisierung in Pflegeeinrichtungen

Digitale Technologien versprechen viele Vorteile im Arbeitsalltag von Pflegefachleuten. Doch wie gelingt die Umstellung auf digitale Instrumente in der Praxis und welche kulturellen Aspekte sind zu berücksichtigen? Am Praxisbeispiel der digitalen Pflegedokumentation haben wir 7 Erfolgsfaktoren für ein erfolgreiches Digitalisierungsprojekt ermittelt.

Wurde das pflegerische Handeln früher noch handschriftlich festgehalten, haben in den letzten Jahrzehnten computergestützte Dokumentationssysteme Einzug gehalten. Doch wie gelingt es in der Praxis, die Papierakten abzuschaffen, neue Technologien einzuführen und sie nachhaltig in die Strukturen und Prozesse zu integrieren? Dieser Beitrag geht der Frage nach, welche kulturellen Aspekte in Digitalisierungsprojekten beachtet und genutzt werden sollten.

Im Mittelpunkt steht das Fallbeispiel eines Wohn- und Tagesheims für körperbehinderte Erwachsene, wo die Einführung eines elektronischen Dokumentationssystems demnächst bevorsteht. Anna Katharina Bertsch, Senior Consultant bei bcp, hat mit der Heimleitung und einer Mitarbeiterin die Herausforderungen und die Erwartungen an das Veränderungsprojekt reflektiert und diese Erkenntnisse mit Inputs aus Gesprächen mit verschiedenen Institutionen im Gesundheits- und Alterspflegebereich ergänzt:

Aus der qualitativen Auswertung der Gespräche leiten wir 7 Erfolgsfaktoren ab:

1. Die Veränderung in einen grösseren Zusammenhang stellen

Wählen Sie einen guten Zeitpunkt für das Digitalisierungsprojekt und betten Sie es in eine gesamtheitliche Entwicklung ein. Zeigen Sie Zusammenhänge auf. Warum braucht es das neue System und warum führen wir es gerade jetzt ein? Die Einsicht in die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Veränderung macht es möglich, dass Menschen in Bewegung kommen.

2. Vorbildrollen in der Führung und im Team etablieren

Setzen Sie sich das "Digitalisierungsteam" ganz bewusst zusammen: Leistungsträger:innen aus der Pflege, technikaffine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein IT-Partner, der den Pflegealltag kennt. Nutzen Sie vorhandene Ressourcen und die Schwarmintelligenz des Teams. Nur eine glaubwürdige Gruppe kann erfolgreich durch die Veränderung führen.

3. Nutzen in den Vordergrund stellen

Zeichnen Sie ein positives und gut verständliches Bild der Zukunft. Was gewinnen wir mit dem neuen System? Ob Effizienzgewinn, transparente Zusammenarbeit, mobileres Arbeiten oder eine vereinfachte und regelkonforme Abrechnung der Leistungen: Ein zeitgemässer Betrieb mit befähigten Mitarbeitenden. Auch die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten können motivieren: "Ich als Mitarbeiterin erhalte ja auch die Chance, mir digitales Knowhow anzueignen, das mir auf meinem weiteren beruflichen Weg zugutekommen wird."

4. Ängste ernstnehmen und einen zuversichtlichen Dialog pflegen

Kommunizieren Sie offen und positiv. Eine gemeinsame Wissensbasis mit Hilfe von Informationsveranstaltungen und Schulungen gibt Sicherheit. Hören Sie sich Bedenken und Ängste verständnisvoll an, aber signalisieren Sie Zuversicht. "Wir werden als Führungspersonen eine doppelte Vorbildrolle haben. Auch wir werden manchmal Mühe haben mit dem neuen Instrument. Frust und Fehler machen ist normal und erlaubt. Aber wir lassen das Ziel auf der anderen Seite des Bergs nicht aus den Augen und es ist unsere Verantwortung, die Mitarbeitenden zu motivieren."

5. Fehler sind menschlich – und Menschen verdienen Wertschätzung

Jeder darf Fehler machen. Fehler sind ein Bestandteil des Lernens und der Weiterentwicklung. Bei der Einführung einer neuen Software braucht es viel Zeit und Raum, um zu üben und eigene Erfahrungen zu machen und um sich im Team gegenseitig zu unterstützen. Nicht alle werden gleich schnell lernen, aber alle sind wertvoll als Mitarbeitende, als Pflegende und als Teammitglieder.

6. Aktives Mitwirken und coole Erlebnisse ermöglichen

Machen Sie rasch erste Erfolge sichtbar. Sorgen Sie dafür, dass die Betroffenen so schnell wie möglich das neue Tool anwenden und austesten können. Gehen Sie schrittweise vor und ermöglichen Sie praktische Erfahrungen, welche den Nutzen der neuen Software erlebbar machen. Nehmen Sie aber auch kritische Verbesserungsvorschläge auf.

7. Neue Arbeitsabläufe und Verhaltensweisen verankern

Ein neues Dokumentationssystem verlangt veränderte Prozesse und eine andere Denkweise. Dieses Mind-Set ist unmittelbar mit der Unternehmenskultur verbunden. Diese wiederum lässt sich nicht einfach verordnen, sondern muss täglich "on-the-job" weiterentwickelt und mit Leben gefüllt werden. Planen Sie deshalb auch nach der Einführung in regelmässigen Abständen eine Evaluation ein, um miteinander den Fortschritt zu reflektieren.

 

Die Zitate im Bericht stammen aus dem Haus Birsstegweg. An dieser Stelle danken wir den Interviewpartnerinnen und -partnern für den Erfahrungsaustausch:

  • Clever.Care (E-Health-Unternehmen): Andres Rapp, COO und Co-Founder
  • Haus Birsstegweg: Thorsten Burckhard, Heimleiter, Volker Biermaier, Leiter Pflege, und Alice Nüesch, Pflegefachfrau Wohnen
  • Pflegeheim Humanitas: Stefanie Bollag, Direktorin
  • Die Zahnärzte.ch (Netzwerk von Zahnarzt-Praxen): Dr. Dr. Ulrich Thomas, Arzt, Fachzahnarzt und Co-Founder
  • Pflegezentrum Dandelion: Renato Bucher, Leiter Finanzen und Administration, und Stephan Scheurer, Leiter Pflege und Betreuung


Wollen Sie in Ihrem Digitalisierungsprojekt den kulturellen Aspekten mehr Aufmerksamkeit schenken? Wir stehen gerne für ein Beratungsgespräch zur Verfügung.

 

Autorin: Anna-Katharina Bertsch